Beiträge von Philipp Breitenbach

    Jokus hatte durch seine Erfahrung gelernt die Mimik seines Publikums zu lesen. Oft konnte er zum Beispiel schon vorhersagen, dass seine Geschichten langweilten, bevor die Zuschauer es selbst so empfanden. Es waren Kleinigkeiten, wie wandernder Blicke, verschränkte Arme oder aber falsches Lächeln und höfliches Lachen. Dann galt es gegenzusteuern.

    Somit hatte er den Verdacht, dass er mit seinem - eigentlich landläufigen Nachwuchsglückwunsch auf Hochzeiten - hier in ein Fettnäpfchen getreten war. Aber so richtig sicher war er sich nicht, da die Adeligen sehr geübt darin schienen Ihre Regungen im Griff zu haben.

    Er ergriff den Becher und nickte Tristan zu. Keine Geheimnisse. Für Ihn war nun klar, dass er die Lammgeschichte in diesem Rahmen erzählen konnte, sogar sollte.

    "So sei es. Abgemacht. Und vielen Dank für den ersten Schluck. Auf euer Wohl!"

    Jokus prostete in die Runde und wunderte sich mit einem mal warum er diese Sonderbehandlung bekam. Aber der laufende zeremonielle Moment hielt Ihn gefangen und er wischte sämtliche Bedenken hinweg. Hätte nicht Kennard diese Ehre gebührt? Nun war es zuspät. Alle Augen schienen auf Ihm und seiner Reaktion zu liegen.

    Jokus leerte den kleinen Becher in einem Zug.

    Jokus hatte der reibungslosen Verhandlung gelauscht und führte die schnelle Einigung zum Teil auch auf seine klandestine Zusage an Lord Tristan zurück, Ihm im Rahmen des allgemeinen Programms die wahre Geschichte seiner Lammfigur zu erzählen. Dieses spezielle Interesse des Clanoberhauptes hatte er Kennard berichtet und aus seiner Sicht spielten seine Erlebnisse eine verborgenen, aber große Rolle bei der raschen Einigung auf die beträchtliche Zahl der vereinbarten Eisenmünzen.

    Nichtsdestotrotz zuckte er zusammen, als Kennard Ihn aufforderte das Wort zu ergreifen. Das "Lied der Clans". Eine wertvolle Geschichte. So wertvoll, dass der alte Walldakai Pepe, den er im Süden beim Turm Espina Rocca kennengelernt hatte, Jokus dafür eine Clanmitgliedschaft im Tausch angeboten hatte. Seit dem war viel Zeit vergangen und Jokus hatte sich nach all seinen Abenteuern mittlerweile für die Nordwalldakai entschieden. Seine neue Familie! Und Kennard war sein Oberhaupt.

    Er nickte ihm bestätigend zu und erhob sich. Nachdem er die mittlerweile erlernte Hof-Etikette aus korrekter Ansprache und Verbeugungen abgespult hatte, sprach er:

    "...und nun ist deshalb die erste Geschichte eines solchen Programms gewissermaßen Wegweisend. Sie ist besonders. Sie entscheidet gewissermaßen über Lust oder Unlust des Publikums sich weitere Darbietungen anzusehen."

    Jokus wusste, dass er sich mit seiner Formulierung weit aus dem Fenster lehnte, war sich aber sicher, dass er liefern konnte. Einen kleinen Verhandlungspunkt schob er an der Stelle aber doch noch mit ein, um sein Lamm-Gefäß zu schützen. Was auch immer darin verborgen war: Er wollte sich ein Mitspracherecht dazu sichern.

    "und wenn das geschätzte Publikum sehr begeistert ist, dann gab und gibt es durchaus den Wunsch sich ein Andenken aus der Vorstellung mitzunehmen. Ein Kostüm, getragene Wäsche, eine Requisite. Dies geht natürlich nicht und ist nicht Teil des verhandelten Preises. Dies sollte einerseits selbstverständlich sein, andererseits sei es hier der Vollständigkeit nochmal erwähnt. Nun denn..."

    Jokus verneigte sich erneut vor Tristan.

    "Eure Lordschaft. Wenn Ihr keine Einwände habt, könntet Ihr den guten Schluck kommen lassen und danach könnt ihr mir sagen wann, wo und in welchem Rahmen ihr die erste Geschichte hören wollt. Direkt hier, oder etwas privater?"

    Er sah Tristan einen Moment länger als nötig an und hoffte, dass der Thronfolger Ihn verstehen würde.

    "In jedem Fall wünsche ich dem Hochzeitspaar alles Glück und kräftige männliche Stammhalter!"

    Jokus tat es Kennard gleich und tat sich am Essen gütlich. Er verspürte nach all der Aufregung einen großen Hunger.

    "Ist das wirklich Koldus?", fragte er Kennard flüsternd. "Ich meine, nach all dem, was wir in der Eishöhle erlebt haben... Kann das wirklich sein? Er warf einen kurzen, scheuen Blick auf den alten Walldakai, der sich in seinem Äußeren doch etwas gewandelt hatte.

    "Wie ist er denn hergekommen? Auf unserer Herreise habe ich Ihn nicht gesehen. Mir kommt es vor, als wäre er fast plötzlich vom Himmel gefallen. Und dann überbringt er diese Tiara. Ich verstehe das alles nicht. Du scheinst über all dies jedoch recht ruhig, gar vergnügt? Wie passt denn das alles zusammen?"

    Jokus hob nur kurz den Blick beim Eintreffen der beiden Frauen, neigte seinen Oberkörper respektvoll und bemühte sich dann weiter niemanden der hohen Herrschaften direkt anzusehen. In Ihm nagte eine Frage: War diese Tiara vielleicht auch ein Gefäß für etwas, wie seine Lammfigur? Einerseits traute er sich nicht zu sprechen und dazu waren bereits Fragen gestellt worden, deren Antwort er erstmal abwarten wollte.

    Jokus keuchte, als die Person die Kapuze zurückschlug.

    "Koldus?", flüsterte er ungläubig. Wie konnte das sein? Als die Umräumarbeiten begannen scharrte sich Jokus hinter Kennard, wie ein Küken an seine Glucke. Er hatte den alten Walldakai, der nun viel jünger aussah für tod geglaubt. Das alles kam Ihm sehr rätselhaft vor und er traute sich auch nicht dessen gold-glänzenden Augen anzusehen.

    Als die Sitzgelegenheiten aufgestellt waren, blickte er fragend zu Kennard. "Wo soll ich sitzen?", flüsterte er zu Ihm.

    Jokus hatte seine liebe Mühe seine Augen wieder auf den Boden zu richten. Das war wohl vom Augenschein her das wertvollste Objekt, was er je gesehen hatte. Warum hatte Kennard Ihm das alles vorenthalten? Und wer mochte sich wohl hinter der Kapuzengestalt verbergen. Jokus konnte sich nicht erinnern, diese Person auf der Reise mit seiner neuen Familie gesehen zu haben. Andererseits war Sie auch jetzt tief verhüllt. War es ein Kutscher, ein Koch, ein Tänzer, der sich jetzt nur verkleidet hatte? Aber warum sollte so jemand die ganze Zeit so einen Schatz bei sich haben? Oder hatte Kennard diese Person erst hier vor den Mauern getroffen? Alles in Allem hatte er mehr Fragen, als Antworten und war gespannt, wie es weiter ging.

    Jokus runzelte kaum merklich die Stirn. Er vertraute Kennard und jener vertraute wohl dem Kapuzenmann, da er Ihn sonst wohl nicht mit zur Audienz mitgenommen hätte. Sein Familienoberhaupt würde sich bei Alldem sicher was gedacht haben und Jokus war weit davon entfernt jetzt irgendwas in Frage zu stellen. So lief er einfach mit den Anderen weiter Richtung Saal.

    Jokus hörte zu, aber außer Allgemeinwissen schien Kennard nichts weiter zu erzählen.

    "Vielen Dank, aber lass nun gut sein. Gönn dir noch etwas Ruhe, die Familie braucht deinen wachen Verstand bei der kommenden Verhandlung mit Lord Tristan. Ich werde kurz spazieren gehen und mir etwas ausdenken. Du kannst mich an meinem Lagerplatz abholen, wenn du die Zeit zum Aufbruch für gekommen siehst, ja?"

    Dann schlenderte Jokus durchs bunte Lager und entwarf gedanklich einige Ideen. Dann wartete er auf Kennard, um mit Ihm zur Verhandlung zu gehen.

    "Oh, das ist ja relativ...gleich." Jokus machte große Augen.

    "Ähm, die Figur ist ja aus dem Zeitalter der tausend Königreiche. Ich wollte die Entstehungszeit der Figur etwas ausschmücken. Vor wie vielen Jahren war das und was hat diese Zeit geprägt? Welche Rolle hatten die Türme damals inne?"

    Jokus nickte.

    "Für die Geschichte, nicht für die Figur an sich. Er ist sehr an den Hintergründen interessiert. Wie ich Sie bekam, was Sie ist und so weiter. Ich habe Ihm vorgeschlagen, dass ich Ihm das alles auch gern als Privatvorstellung anbiete und er aber natürlich Gäste einladen kann. Es soll also keine große Vorstellung vor einem Massenpublikum werden", fasste Jokus nochmal zusammen.

    Jokus klopfte sich mit dem Finger auf die Nasenspitze.

    "Jetzt, wo du es sagst. Ja das kommt mir plausibel vor. Wir haben uns gegenüber, auf einem Teppich, gesessen. Und zum Verhandeln: Da hat er gesagt, dass ich erst erzählen soll und danach ein Honorarvorschlag abgeben soll. Da war ich überrumpelt aber der Lord meinte, dass wäre im Norden so üblich. Ich wollte mich auf jeden Fall in keinster Weise in deine kommende Verhandlung einmischen oder was parallel für mich aushandeln.

    Ich sehe meine Geschichte eigentlich als Teil deines, unseres Gesamtangebots, dass uns durch den Winter retten soll. Vielleicht gibt dir das spezielle Interesse an der Lammgeschichte ja einen entscheidenen Vorteil bei der Verhandlung?"

    Jokus trat näher.

    "Guten Morgen, Kennard. Du kannst dir nicht vorstellen, was mir gestern passiert ist!"

    Er wechselte in einen Flüsterton.

    "Ich wurde gestern gewissermaßen von Lord Tristan entführt. Also er hat mich in ein Zelt ziehen lassen und hat mich dann über die Lammfigur ausgefragt. Ein dramatisches Mittel für ein Vieraugengespräch, wenn Ihr mich fragt. Aber ich glaube ich hab es gut gemeistert und ich lebe noch", zwinkerte er.

    "Ich hab Ihm ein paar Fakten genannt und Ihm dann angeboten die gesamte Figurengeschichte zu erzählen. Er hat zugestimmt, also hab ich einen lukrativen Programmpunkt gefunden, denn das will er wirklich wissen. Honorar hab ich Ihm gesagt, wird von Dir im Gesamtpaket verhandelt. Das steht doch heute an, oder?"

    Die Nacht verlief für Jokus unruhig. In seinem Kopf arbeiteten Entwürfe für die wirkungsvollste Darstellung der Lammfigurengeschichte. Nachdem er sich oft auf seinem Lager umhergewälzt und womöglich tatsächlich etwas Schlaf gefunden hatte, weckten Ihn die früh zwitschernden Vögel und das aufdämmernde Sonnenlicht. Nach einer kleinen Katzenwäsche ging er durch das, langsam aufwachende Lager und kam dann an der noch taubenässten Zeltplane von Kennards Schlafstätte an.

    "Kennard? Kennard, bist du schon wach? Ich muss dir unbedingt etwas erzählen!"

    Jokus nickte.

    "Es ist mir wichtig festzuhalten, dass ich euch keine Geschichte, sondern lediglich Fakten über das Objekt erzähle. Denn als Walldakai muss ich Auftritte gerade zum Zeitpunkt eurer Hochzeitsfeier mit meiner Familie absprechen. Und diese wird die Preise verhandeln. Morgen werden wir dazu bei euch vorsprechen, habe ich gehört. Ihr scheint nach unserer letzten Begegnung auf jeden Fall ein gesteigertes Interesse an dem Lamm zu haben. Ich erhoffe mir, dass meine Vorab-Informationen sich positiv auf den Preis auswirken werden. Eine Privatvorstellung mit der ganzen Geschichte vor euch allein oder von euch ausgewähltem Publikum ist machbar. Wir würden uns also gegenseitig helfen, da auch ich ein Interesse an der Entschlüsselung der rätselhaften Figur habe und dazu braucht es einen gut ausgebildeten Turmarbeiter."

    Jokus faltete die Hände und sprach so leise, dass es nur Tristan hören konnte.

    "Die Figur ist sehr alt und besteht aus einem besonderen Gestein. Basaltium, oder Basalitum genannt. Es wurde im Zeitalter der tausend Königreiche von einem Turm angefertigt und dient bis heute als eine Art Gefäß, die ein schützenswertes Objekt in sich trägt. Wer auch immer es erschaffen hat, wollte sicher gehen, dass sein Inneres die Zeiten unbeschadet überdauert."